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Die Huflehre von Dr. Hiltrud Straßer – Vom Vorurteil zur Pseudowissenschaft

0) Frau Dr. Straßer

Frau Dr. Hiltrud Straßer steht für ganzheitliche Pferdehaltung und –betreuung. Sie hat dezidierte Mei­nungen zu der Gestaltung von Pferdeställen, zu Fütterung und reiterlicher Nutzung. Ihr besonderes Augenmerk allerdings gilt den Hufen. Der Großteil ihrer Veröffentlichungen befasst sich mit dem, was sie unter artgerechter Hufbearbeitung versteht. An ihrem „Institut für Hufgesundheit und ganz­heitliche Pferdebehandlung IfH“ bildet sie in einem zweijährigen Kurssystem zum „Hufheilpraktiker nach Dr. Hiltrud Straßer“ aus.

Das besondere Renommée, das ihr auf diesem Feld zukommt, verdankt sich zum einem ihrem kom­promisslosen Eintreten für den Barhuf - sie gilt als Pionierin der Neuzeit auf diesem Gebiet - zum anderen der wissenschaftlichen Begründung ihrer Auffassung. Auf letztere legt Frau Dr. Straßer sehr viel Wert: So lässt sie sich auf ihrer website www.hufklinik.de die Richtigkeit ihrer anatomischen „Konstanten“ von „führenden Anatomen“ per persönlicher Signatur bestätigen. Neben ihr selbst haben bisher Prof. Cook, Prof. Silver und Prof. Kumar – alle USA – die Erklärung unterschrieben. Die Un­terschriftenliste bleibt für weitere Eintragungen offen …

1) Vom „gesunden“ zum „normalen“ Huf

Im Folgenden soll untersucht werden, welche Erkenntnisse von Frau Dr. Straßer grundlegend für ihre Hufbearbeitung sind.

Zunächst bestimmt Dr. H. Straßer den „gesunden“ Huf: „Bei freilebenden Pferden sind nirgends Huf­leiden als Todesursache beschrieben worden, obwohl die sehr scheuen Tiere sich in unwirtliche Regi­onen mit Fels- und Geröllboden zurückziehen, wo sie höchsten Belastungen ausgesetzt sind. Auch bei den halbwilden Zuchtherden großer Gestüte sind die unbehandelten Hufe gesund.“ (Straßer 1991: 9) Vom wissenschaftlichen Gehalt her ist diese Behauptung wenig Wert: Wenn etwas nicht beschrieben wurde, heißt das ja nicht, dass es nicht existiert. Auch die Beschreibung der Zuchtherden beweist nur konsequente Nicht-Befassung: Keiner kümmert sich um die Hufe – dann werden sie wohl gesund sein. Jeder Hufbearbeiter, der solche unbehandelten Hufe z.B. vor einem anstehenden Verkauf erstmals bearbeiten soll, kann da ganz andere Beobachtungen berichten. Dasselbe gilt für Fohlenhufe.

Warum diese unbewiesene Behauptung an den Anfang der eigenen Untersuchungen stellen? Um den Gegenpol aufzumachen: „Auf der anderen Seite haben die Menschen, seit sie die Pferde als <<Haustiere>> halten, Probleme mit den Hufen. Sie versuchen mit immer neuen Methoden, haupt­sächlich jedoch mit Hufeisen, eine schnelle Abnutzung, Deformierung und Erkrankung zu verhindern. Aus diesen Tatsachen muss man die Schlussfolgerung ziehen: in menschlicher Obhut werden Pferde­füße schnell unbrauchbar und behandlungsbedürftig.“ (ebenda)

Das Lob des „Naturhufs“ hat rein argumentativen Charakter. Er ist nur negativer Bezugspunkt: „Ein Huf ist nur dann gesund, wenn Wachstum und Abnutzung des Hornes derart im Gleichgewicht sind, dass das Tier weder Schmerzen noch sonstige Probleme hat. Jegliche Hufbearbeitung erübrigt sich also.“ (Straßer 2002: 47) Der Hinweis auf den erfolgreichen Naturhuf dient der Behauptung, dass Hufprob­leme sich grundsätzlich aus Haltungsfehlern und Fehlbearbeitung ergeben. Fotos mit der Unterschrift „natürlich abgenutzter, gesunder Huf“ (Straßer 2004: 39) zeigen unkritisiert all die Phänomene, die beim „Nutzpferd“ zur Begründung der Notwendigkeit von starken Eingriffen führen. „Es sollte dadurch deutlich werden: alle schwerwiegenden Hufprobleme haben ihre Ursache nicht in einer <<genetischen Veranlagung der Tiere>>, sondern sind von Menschen gemacht, entweder durch unnatürliche Hal­tungsbedingungen oder durch falsche Hufbearbeitung, oft wegen beider Irrtümer der Menschen.“ (Straßer 2002: 351)

„Wenn die natürliche Abnutzung wegen Zeitmangels nicht möglich ist, müssen die Hufe mit Sach­kunde und Wissen über die Huffunktionen und die Physik des Hufes bearbeitet, das heißt optimiert, dass heißt ihnen die natürliche Form zurückgegeben werden. … Wir Menschen können nur eine physisch optimale Form herstellen, nicht aber die individuell optimale Form! (Hervorhebung G.J.) Das heißt, der optimal bearbeitete Huf sieht etwas anders aus als ein natürlich abgenutzter prob­lemloser Huf.“ (Straßer 2004: 39)

Ich nenne das die Straßersche „Freizeichnungsklausel“: Während Hufschmiede sich an der Heeresbe­schlagsverordnung bzw. den folgenden Hufbeschlagsverordnungen orientieren und amerikanische nhc-practitioners am „wild model“ und Huforthopäden anstreben, jedem Pferd zu seinem individuell funktionstüchtigen Huf zu verhelfen, ist die Straßersche Hufbearbeitung ausschließlich ihren physika­lischen Erkenntnissen verpflichtet. Es gibt kein weiteres Korrektiv zur Überprüfung des eigenen Tuns!

Die Straßersche Hufphysik stellt nun folgende Aufgabe: „Wir müssen eine Hufform herstellen, die Hufmechanismus ermöglicht und das Hufbein in eine bodenparallele Lage bringt.“ (Straßer 2004: 39)

2) Hufmechanismus

Ob es einen „Hufmechanismus“ gibt oder nicht und wenn ja, wie er funktioniert, soll hier nicht Thema sein. Es gibt dazu umfangreiche, teilweise gegensätzliche Literatur. Eine allgemeine Bestimmung findet sich in Ruthe (1997: 91): „Unter Hufmechanismus versteht man unterschiedliche elastische Bewegungen der einzelnen Teile der Hornkapsel während der Be- und Entlastung der Gliedmaßen, die sich in bestimmten geringen Formveränderungen der Hornkapsel zu erkennen geben, aber auch die von dieser eingeschlossenen inneren Teile betreffen.“ Dass der sehr harte Huf eine Flexibilität in en­gen Toleranzen aufweist, wird von niemandem bestritten.

Meine Behauptung ist: Den Straßerschen Hufmechanismus gibt es nicht. Ihr Hufmechanismus ist aus dem Bild abgeleitet, mit dem sie die „Hornschuh-Konstruktion“ zunächst lediglich veranschaulicht hat, dem Bild vom „schiefen Kegelstumpf“ i.e. dem Bild des „schräg abgeschnittenen Eimers“. Am Ende steht das Bild für die Sache, und zwar für eine Sache, die Straßer den von ihr behandelten Pfer­den aufzwingt: „Bei Naturhufen ist das häufig nur in geringem Ausmaß gegeben, weil der Hufmecha­nismus bei Pferden, die im Herdenverband natürlich leben, nicht so intensiv ausgenutzt wird.“ (Straßer 1994: 12)

Wie entwickelt Straßer den Hufmechanismus und welche Behandlungsanweisungen leitet sie daraus ab?

„Zum besseren Verständnis dieser Hornschuh-<<Konstruktion>> soll die Abbildung 19 dienen: man kann sich die Hornkapsel als schräg abgeschnittenen Eimer (schiefen Kegelstumpf) vorstellen, dessen kürzeste Seitensenkrechte (hinten) aufgeschnitten worden ist. Die Bodenecken wurden nach innen geschlagen und dort an der Sohle verankert. Die gesamte Bodenabdeckung des Hufes kann man mit einem Stück Papier nachfalten: ein Rechteck, das vorne kreisförmig abgerundet ist, wird von der Mitte aus nach hinten in 4 strahlförmige Falten gelegt. Schiebt man die Falten zusammen, so wölbt sich der runde, nicht gefaltete Teil des Papieres genauso wie das Hufgewölbe. Klebt man dieses Papierteil in das passende, vorher beschriebene Kegelstumpfgebilde, so kann man beobachten, wie sich das Soh­lengewölbe bei Druck auf den oberen Rand des <<umgestülpten Eimers>> abflacht und die Falten flacher werden. Das Papier zerreißt nicht. Dieses gleiche Prinzip finden wir am Fuß der Einhufer. Das bedeutet aber, daß eine intensive Spreizbewegung der Hufe vorgesehen sein muss! (Hervorhebung durch GeJ) (Straßer 1991: 43f )

Das Eimermodell beweist bei Straßer den Hufmechanismus und zeigt, wie er abläuft. „Bei Belastung sinkt die Vorderwand minimal in Richtung auf die Hufmitte ein, die untere vordere Hälfte bleibt fast bewegungslos, während die hinteren Wandabschnitte sich von der breitesten Stelle ab erweitern.

Das Sohlengewölbe flacht während der Belastung ab, dabei nähert sich der Strahl dem Erdboden und die Ballen senken sich. Beim Entlasten kehren alle Teile federnd in ihre Ausgangslage zurück.“ (Straßer 1991: 50)

Die genauen Senkungswerte, die sich bei maximaler Spreizung (angenommene 4 mm pro Seite) erge­ben, werden von Florian Pforte mittels rotem Plastikeimer ganz genau errechnet: „∆h1=18,4 mm und ∆h2=9,6 mm. Nur die zweite Lösung ist sinnvoll, da ∆h natürlich kleiner sein muss als h (Gewölbehöhe). Bei einem Auseinanderweichen der Hufwände um 4 mm an der weitesten Stelle auf jeder Hufseite muss das Sohlengewölbe also um ca. 10 mm abflachen. Da mit variierender Hufbreite auch die Strahlbreite zu- oder abnimmt (gesunde Hufe vorausgesetzt) dürften diese Werte relativ ähnlich für alle Hufgrößen gelten.“ (Pforte 2006: 17f.)

Es wäre für sich nicht lohnend, sich mit diesem sehr abstrakten Aufguss alter Lehrbuchmeinungen zu befassen. Allerdings macht der argumentative Fortgang bei Straßer ebendies notwendig. Aus ihrer Bestimmung des Hufmechanismus = dem Eimermodell werden konkrete Bearbeitungsanweisungen abgeleitet:

a)      „An ihrer halben Länge soll die Eckstrebe einen Höhenunterschied zum seitlich davon liegen­den Tragrand von 1 cm haben, ebenso an dieser Stelle in die Tiefe der Strahlfurche. Insgesamt wäre damit der Höhenunterschied zwischen der tiefsten Stelle der Strahlfurche und dem Trag­rand = 2 cm. … Anschließend wird die Sohle zwischen dem Strahl und der neuen Wandhöhe zu einem glatten Gefälle geformt. … Die Sohle soll weder konvex noch konkav gekrümmt sein, sondern gerade wie die Papiersohle beim Eimermodell verlaufen. Jede andere Sohlen­form würde das Abflachen der Sohle (den Hufmechanismus) behindern.“ (Straßer 2002: 49) „Der Trachtenwinkel muss sich beim Spreizen der Hufkapsel vergrößern können. Das bedeutet: Das Sohlenhorn muss in diesem Bereich dünn und elastisch sein.“ (Straßer 1994: 25) In Befolgung dieser Anweisung kommt es zu den bekannten dünnen Hufsohlen, die ihre Schutzfunktion nur noch mangelhaft erfüllen können und in der Folge zu Hufgeschwüren, da Erreger Mikroeintrittspforten nutzen können.

b)      Die Elastizität der Sohle wird noch nicht als ausreichend erachtet, den gewünschten Hufmechanismus zu ermöglichen. Ergänzend werden die Seitenwände bogenförmig von unten gekürzt: „Mit Hilfe dieser gebogenen Linie genannt <<Senke>>, wird die Beweglichkeit der Hufwände beim Hufmechanismus gewährleistet und kann gewisse Asymmetrie des Hufes korrigiert werden.“ (Straßer 1994: 41)

c)      Eine weitere Destabilisierung der Hornkapsel erfolgt durch den „Weitungsschnitt“ bei Zwanghufen, d.h. die komplette Entfernung der Trachtenendkante bis in den Ballen hinein: „Ein weiteres Problem stellt der sog. <<Weitungsschnitt>> oder <<Öffnungsschnitt>> dar. Wird dieser nicht korrekt ausgeführt, dann nützt er nichts, sondern die Zwangsituation besteht fort und die Besitzer wundern sich, warum die Zwanghufe nicht aufgehen. Der Weitungs­schnitt soll den Hebel, der die zu weit innen liegenden Trachten vorwärts drückt und dadurch die Hufkapsel enger macht, entfernen und stattdessen eine Angriffsfläche für den Untergrund bilden, der die Trachten zur Seite hebelt.“ (HdH S. 409) „Beim korrekten Weitungsschnitt wird das Hufmesser senkrecht angesetzt und alles harte Trachtenhorn entfernt, das sich innerhalb (strahlseitig) der neu geschaffenen Trachtenecke befindet.“ (Albrecht 2004: 11)

Die Bedeutung des so entwickelten Hufmechanismus wird durch die Darstellung des Hufs als „Blut­pumpe“ überhöht und gesteigert. Da dieser Themenkreis keine eigene Bedeutung für die abgeleitete Art der Hufbearbeitung hat, wird hier nicht weiter darauf eingegangen.

3) Bodenparallelität und Winkelmesser

Nach der Ermöglichung des Hufmechanismus war die zweite Aufgabe der Hufbearbeitung nach Straßer, das Hufbein in eine bodenparallele Lage zu bringen. Warum muss das sein?

a)      „Die Form des Hufbeins deutet darauf hin, dass es für eine bodenparallele Form entwickelt wurde.“ (Straßer 2004: 17) Ein erstaunliches Argument von jemandem, der weiß, dass das Hufbein nicht in der Hornkapsel steht, sondern aufgehängt ist. Der Kommentar zu einem Photo, auf dem ein Hufbein auf dem Tisch liegt: „Die Seitenansicht beweist, dass das Hufbein dennoch bodenparallel liegt.“ (Straßer 2004: 17)

b)      „Ballenkontakt mit dem Untergrund wurde von den Autoren bei freilebenden Wildpferden beobachtet und deshalb als naturgemäße Hufform angesehen.“ (TU 4/97 S. 190) „Nach den Beobachtungen von Pollit (1993), Jackson (1989), Clark (1809), Zierold (1910) sowie eigenen Beobachtungen von unbehandelten Wildpferde- und Zuchtpferdehufen ist bei Naturhufen die Lage des Hufbeines bodenparallel, der Strahl-Ballen-Bereich hat Bodenkontakt.“ (ebenda S.192) Tatsächlich werden gerade in der amerikanischen Literatur (Jaime Jackson, Pete Ramey u.a.) immer wieder Mustanghufe aus den Rocky Mountains mit völlig abgeriebenen Trachten gezeigt (es ist speziell ein Hufpräparat mit wirklich sehr kurzen Trachten, das immer wieder auftaucht - „the wild model“ - und auch von Strasser in ihrem Handbuch S. 101 abgebildet wird). Diese Beobachtungen reichen aber nicht zum Beweis, dass Bodenparallelität die natürliche Hufbeinstellung aller Pferde sei. Im Gegenteil: Veröffentlichte Messungen an Wildpferdehufen geben eine weite Spanne von Hufwinkeln an. Z.B. variiert der von Jaime Jackson gemessene Zehenwinkel von Mustangs vorne 48° bis 62°, hinten 51° bis 65° (Jackson 2002: 47). Petra Schnitker (2004) hat in ihrer Dissertation zum Przewalskipferd Hufwinkel zwischen 31° und 60° gemessen, die nicht nur von Pferd zu Pferd, sondern auch beim einzelnen Pferd saisonal schwanken. Die Natur gibt dem Hufbearbeiter keine einheitliche Auskunft über die Lage des Hufbeins.

c)      Auch hier hilft der physikalische „Beweis“ am Modell: „Das Hufbein ist Teil eines Kegels. Von der Seite betrachtet stellt das Hufbein ein Dreieck dar. Das Hufbein>>dreieck<< be­kommt den Druck auf seine Gelenkfläche durch den walzenartigen Gelenkkopf des Kronbei­nes auf eine Kreisbogenfläche übermittelt. Der Mittelpunkt des Kreisbogens ist das imaginäre Druckzentrum, von dem die Druckkraft auf das Hufbein übertragen wird. Verbindet man die­sen Punkt mit den Endpunkten der Hufbeinbodenlinie, so erhält man ein gleichschenkliges, rechtwinkliges Dreieck, somit eine gleichmäßige Druckverteilung auf die Bodenkante des Hufbeins (Abb. 2)“ (TU 4/97 S. 191) „Bei dem gleichschenkligen, rechtwinkligen Dreieck ge­horcht die Druckverteilung dem Kräfteparallelogramm (Abb. 4). Je steiler das Hufbein steht – je weiter die Hufbeinäste vom Boden entfernt werden -, desto mehr Last geht auf den Spitzen­bereich über, um so mehr wird die Huflederhaut der facies parietalis überlastet.“ (ebenda S. 192)

Das Hufbein ist kein Dreieck – der vordere Bereich ist sehr massiv, nach hinten läuft das Huf­bein schlank in die Hufbeinäste aus. Das trägt dem Sachverhalt Rechnung, dass der Zehenbe­reich die Hauptlast der Aufhängung zu tragen hat. Das heißt nicht automatisch, dass er „über“lastet ist. Die schmalen Seitenbereiche sind zur Lastaufnahme nicht gleichermaßen in der Lage. Nimmt man noch die (flexiblen) Hufknorpel dazu, ist man optisch bei einer eher rautenartiger Form. Das Bild des Dreiecks soll suggerieren, dass bei bodenparalleler Lage die Belastung ausgewogen um rundum gleichmäßig ist.

d)      Frau Dr. Straßer muss jetzt nur noch Hufbeine messen: „Über einen Zeitraum von 12 Jahren wurden Hufbeine von Schlachtpferden (insgesamt über 200) – Ponies, Haflinger, Vollblüter, Warm- und Kaltblüter u.a. untersucht …“ (TU 4/97 S. 191) „Wie umfangreiche Messungen an Hufbeinen ergeben haben, zeigen Vorderbeine in der Regel einen Winkel von 45° Zehennei­gung, die Hinterhufe 55°.“ (Straßer 2002: 100) „Die Hufkapsel kann als >>Anguss<< an den Knochen betrachtet werden, der die gleiche Form hat.“ (Straßer 2002: 100) „Es soll eine optimale Hufform und Winkelung erreicht werden. Die Winkel, die man von der Seite sieht, sind prinzipiell bei allen Huftieren gleich (inklusive Differenz zwischen Vorder- und Hinterhufen).“ (Straßer 2004: 39)

4. Grundregeln der Hufbearbeitung

Mit den oben entwickelten „Gesetzmäßigkeiten“ sind alle Vorgaben für „physikalisch korrekte Hufbe­arbeitung“ errechnet. Wenn die Winkelung der Hufbeine bei allen Equiden gleich ist, die Hufkapsel quasi einen „Anguss“ darstellt und das Hufbein bodenparallel sein muss, können diese ehernen Ge­setze in eindeutige und konkrete Anweisungen für die Hufbearbeitung umgesetzt werden:

„Es soll eine optimale Hufform und Winkelung erreicht werden. Die Winkel, die man von der Seite sieht, sind prinzipiell bei allen Huftieren gleich (inklusive Differenz zwischen Vorder- und Hinterhu­fen).“ (Straßer 2004: 39)

„Sie (Vorder- und Hinterhufe, G.J.) zeigen denselben Zehenwinkel wie die Hufknochen (45 ° bzw. 55°), der Kronrand hat sich in unzähligen Messungen als 30° bei bodenparallelem Hufbein erwiesen. Die ideale Ballenhöhe ist für fast alle Equiden 3,5 cm senkrechter Höhe vom Ende des seitlichen Hufknorpels.“ (Straßer 2002: 100)

„Nun wird die Trachtenhöhe gemessen (3,5 cm vom Ende des Hufknorpels oder 3 cm von der Haarli­nie senkrecht über der Trachte). Von der Trachtenhöhe zeichnet man auf jeder Hufseite separat eine Linie im Winkel von 30° zum Kronrand nach vorn. Oft endet diese Linie bei der halben Huflänge, weil die Zehe viel zu kurz ist. Dann kann auch die Wand nur so weit gekürzt werden! Im Verlauf die­ser Linie wird nun die Hufwand gekürzt. Zwischen der weißen Linie der Wand und der weißen Linie der Eckstreben und der Strahlspitze wird die Sohle als ebene Fläche geschnitten, nicht konvex und nicht konkav. Auf beiden Seiten des Hufs wird nun sorgfältig der Kronrandwinkel gemessen und nachkorrigiert.“ (Straßer 2004: 41)

Es handelt sich dabei um „Grundregeln“ die letztlich in allen Hufsituationen zur Anwendung kommen (siehe Bearbeitungsanweisungen in Handbuch der Huforthopädie nach jedem Krankheitsbild). Je nach Ausgangssituation am Pferdebein erfordern diese Regeln im allgemeinen eine massive Manipulation der Hufsituation.

Dass deshalb die Umformung einer vorgefundenen Hufsituation zum „Idealhuf“ ein dornenreicher Weg mit u.U. letalem Ausgang ist, betont Frau Dr. Straßer an vielen Stellen ihrer Bücher und Artikel: „Beim erwachsenen Pferd dauert es mehrere Jahre, bis sich straffes Bindegewebe (wie Sehnen und Bänder) an eine neue Situation anpasst. Aus diesem Grund ist es so schwierig, veränderte Gelenkwin­kel bei einem Tier, das älter als 1 Jahr ist, zu korrigieren.“ (Straßer 2002: 110 )„Falls bei Beginn der Bearbeitung eine abweichende Stellung vorhanden war, muss man damit rechnen, dass der komplizierte Bandapparat stets den Fuß in die alte Situation zurückziehen wird. Durch häufige Hufbearbeitung (zweimal wöchentlich) muss eine beständige Veranlassung zur Veränderung der Bänder gegeben werden. Bei optimalen Bedingungen zweimal wöchentlicher, richtiger Korrektur kann das bis zu zwei Jahre dauern!“ (Straßer 2004: 42) „In den Fällen von Hufzwang muss damit gerechnet werden (denn es ist nicht zu verhindern), dass sich nach Erweiterung der Hufkapsel mit Absenken des Sohlengewölbes das Hufbein mit absenkt, meist aber rotiert. Die Blättchenverbindung konnte im Zwanghuf nicht so gut sein (schlechte Hornqualität), dass das Gewicht gehalten werden kann, selbst wenn das Gewölbe nicht mehr von unten gegen das Hufbein drückt. Es kann sein, dass die Lederhautblättchen nicht mehr komplett mit den Hornblättchen verbunden sind. Die wenigen, die noch Halt geben, werden übermäßig belastet und gedehnt und entzünden sich. Eine so genannte <<Huflederhautentzündung>> ist die Folge.“ (Straßer 2002: 256) „Manchmal muß über Wochen täglich die Hufsohle korrigiert werden, damit sie ihre Idealform (schüsselartiges Gewölbe mit ebenem Rand) und Idealwinkelung behält. --- Bei der Behebung von Zwanghufsituationen muß mit Sohlen- und Ballengeschwüren gerechnet werden. … Überwiegend wird das im Trachtendreieck der Fall sein.“ (Straßer 1994: 30)

Frau Dr. Straßer erklärt die mitunter massiven Probleme, die aufgrund ihrer Hufbehandlung auftreten, als Teil des durch sie eingeleiteten Heilungsprozesses. Da dieser Heilungsprozess eingestandenerma­ßen langwierig und schmerzensreich ist mit „guter Prognose“ ohne Gewähr des Erfolgs, muss die Kennzeichnung der Hufsituation vor der Straßer-Behandlung auch so drastisch ausfallen, wie das in ihren Texten geschieht. Nur wenn man den Pferdebesitzer davon überzeugt, dass die einzige Rettung vor dem absehbaren, in düstersten Farben geschilderten schleichenden Untergang seines Lieblings im radikalen Kürzen der Trachten besteht, wird er die nötige Einsicht in ein monate- bis jahrelanges Martyrium entwickeln. Da die Schrecken der teils wöchentlichen Schneidearbeit nach einiger Zeit sehr oft die Furcht vor dem alten Zustand relativ verblassen lassen, halten viele Straßer-Kunden nicht durch und geben dem Hufbearbeiter durch ihr Aufgeben eine Rechtfertigung für den Misserfolg.

Aber auch lizenzierte Hufheilpraktiker kommen über die Folgen ihres Tuns ins Schwitzen: So über­nahm Maja Mudra im Mai 2006 verwahrloste Pferdehufe mit Ausbrüchen und Rissen und einem ge­schwollenen Kronrand, die sie vorschriftsmäßig bearbeitete: „Hier begann erst einmal ein etwas härte­rer Weg für den 19 jährigen Letten und seine Besitzer. Da die inneren Schäden ein größeres Ausmaß vorwiesen, als im ersten Moment gedacht, kam es für die Besitzer und auch für mich zu einer Reakti­onsintensität, die keiner von uns so erwartet hätte. Durch die starke Zwangsituation und die steile Stellung war die Aufhängung des Hufbeines in der Hornkapsel enorm geschädigt und wurde nur durch den Zwang gehalten. (???, G.J.) Bereits nach den ersten zwei Ausschneideterminen war ein Maß an Bewegung und Durchblutung im Huf hergestellt, dass die Schäden zu Tage getragen wurden. Durch die wiederkehrende Durchblutung begann der Organismus die geschädigten Stellen zu erkennen und zu reparieren. Durch die Weitung wurde das Hufbein nicht mehr gehalten und rotierte. … Diese Situation war sehr schmerzhaft für Bagijs, sodass er sogar teilweise nur mühsam stehen konnte.“ (Mudra 2007: 9f.)

Es bedarf schon starker innerer Überzeugung, einer Situation, deren offensichtlicher Auslöser man ist, nur „Erkenntnisse“ über den Vorzustand abzugewinnen, ohne das eigene Tun infrage zu stellen. Schließlich hat man in einer Situation, in der der Hufbeinträger wahrscheinlich tatsächlich in seiner Funktion beeinträchtigt war, durch das Kürzen der Trachten und damit flach Stellen der Zehe die He­belkräfte an der Zehenwand verstärkt, durch blutig Schneiden im Eckstreben-Trachtenbereich Hufge­schwüre provoziert und durch den Weitungsschnitt den Trachtenbereich destabilisiert, so dass Bagijs wegen Schmerzen vermutlich nicht auf den Trachten stehen wollte, zum Ausgleich aber nicht auf die hebelnde Zehenwand ausweichen konnte. Muss das sein für einen Erfolg, der so formuliert wird? „Bagijs läuft mittlerweile wieder (sic!) gerne ohne große (sic!) Probleme zu zeigen.“ (ebenda) Die „Erfolgsfotos“ vom vorläufigen Endzustand zeigen von der Seite einen Huf, der viel kürzer, aber op­tisch harmonischer aussieht, als der Ausgangszustand, wenngleich die deutliche Raspelspur an der Zehe darauf hinweist, dass der Huf die Idealform nicht behalten will. Die Ballenfotos zeigen einen kürzeren Huf, dessen „enorme“ Verbesserung nur auf dem Papier steht. Ob sich Bagijs in diesen Hu­fen wohler fühlt als in seinem früheren Leben, kann der Dokumentation keinesfalls entnommen wer­den. Weitere Falldokumentationen nach dem zitierten Muster: „Gamaro“ (Christoph Gehrmann in Natürlich Barhuf-Zeitung 1/2005 S. 8f auf der Seite www.vdhp.de mit Bildnachweisen) oder „Nuraja“ (Inga Oehmke in Hufrolle 2/2003).

Nach den dargelegten Nöten, die Pferdebesitzer und Hufbearbeiter mit der Methode Straßer haben, muss es nicht verwundern, wenn zur I. Weltkonferenz der Hufpflege in Tübingen 2003 eine Be­standsaufnahme folgendermaßen ausfiel: „Deutschland: 17 in Ausbildung, über 100 ausgebildete Huf­pfleger/Hufheilpraktiker, von denen allerdings viele nicht (mehr) oder nicht nach den Vorgaben von Frau Straßer arbeiten.“ (Albrecht 2003: 4)

Was wünscht sich deshalb Dr. Hiltrud („die im Kampf Erprobte“) Straßer von ihren Schülern: „Dass meine Schüler genau das tun, was sie von mir beigebracht bekommen! Oft haben sie Angst, zuviel wegzunehmen und es werden immer dieselben Fehler gemacht: der 30-Grad-Kronsaumwinkel wird nicht genau eingehalten, von den Trachten und Eckstreben wird aus Angst zu wenig weggeschnitten und das Sohlengewölbe wird auch nicht so gearbeitet, wie es von mir gelehrt wird.“ Interview durch Melanie Clahsen in Natürlich Barhuf-Zeitung 1/2005 S. 21ff.

Einzelne Misserfolge sind nicht ausreichend, eine Hufbearbeitungsmethode zu diskreditieren. Eine Hufbearbeitung, die für die rein rechnerisch vorgegebene Idealwinkelung eine jahrelange schmerzhafte Behandlung mit kurzen Intervallen verlangt und im Verlauf dieser Behandlung erst die Krankheitsbilder hervorruft, die sie als ihren Ausgangspunkt behauptet, ist grundsätzlich abzulehnen.

Literatur:

Albrecht, U. (2003): Weltkonferenz der Hufpflege in Tübingen, November 2003. In: Hufrolle, hrsg. vom Verband der Hufpfleger und Hufheilpraktiker nach Dr. Strasser e.V., Heft 5, S. 4f.

Albrecht, U. (2004): Hufeschneiden: Bearbeitungsfehler. In: Hufrolle, hrsg. vom Verband der Hufpfleger und Hufheilpraktiker nach Dr. Strasser e.V., Heft 6, S. 10f.

Jackson, J. (2002): Horse Owners Guide to Natural Hoof Care. Harrison.

Mudra, M. (2007): Falldokumentation Bagijs. In: Natürlich Barhuf – Zeitung für ganzheitliche Pferdebehandlung, hrsg. vom Verband der Hufpfleger und Hufheilpraktiker nach Dr. Strasser e.V., Heft 1, S.9f.,

Pforte, F. (2006) Die Sohle des Pythagoras. In: Natürlich Barhuf – Zeitung für ganzheitliche Pferdebehandlung, hrsg. vom Verband der Hufpfleger und Hufheilpraktiker nach Dr. Strasser e.V., Heft 1, S. 17f., Eschborn.

Ruthe, H. (1997): Der Huf. Lehrbuch des Hufbeschlags, 5. überarbeitete Auflage von Friedbert Reinhard, Stuttgart.

Schnitker, P. (2004): Der Selbstregulierungsmechanismus der Huflänge und Hufform beim Przewalskipferd (equus ferrus przewalski). Berlin.

Straßer, H. (1991): Gesunde Hufe ohne Beschlag. Band 1, Friedberg.

Straßer, H. (1994): Gesunde Hufe ohne Beschlag. Band 3, Friedberg.

Straßer, H. (2002): Handbuch der Huforthopädie. Kirchentellinsfurt.

Straßer, H. (2004): Pferdehufe ganzheitlich behandeln. Stuttgart.