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Die Forschung an Wildpferdehufen und ihre Relevanz für die Veterinärmedizin und für die Hufbearbeitung (Brian Hampson)

Dieser Artikel ist Bestandteil der Tagungsmappe der 5. Huftagung der DHG e.V. Die Tagungsmappe (51 Seiten) kann zum Preis von 10 Euro bei uns bestellt werden.

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Die Hufgestalt und Hufgesundheit kann offensichtlich durch Faktoren wie Pferderasse und Vererbung (Ducro et al. 2009), Ernährung (NRCNA, 2007), Hufbearbeitung (Kummer et al. 2006; van Heel et al. 2006), Lebensumfeld (Hood et al 2001, Boyd et al. 1988) und Feuchtigkeitsgehalt im Huf (Strasser 2004) beeinflusst werden. Das Ziel der Dissertation “The effect of the environment on the feral horse foot” war es, die vorherrschenden Einflüsse des Lebensumfeldes auf die Hufe von verwilderten Pferden in Australien und Neuseeland zu untersuchen. Das Studium dieser Pferde erlaubt die Begutachtung von Hufen, die sich ohne Beeinflussung durch menschliche Eingriffe entwickelt haben.

1788 wurden von den ersten Europäern erstmals Pferde in Australien eingeführt. Entlaufene und freigelassene Pferde verwilderten und bereits im Jahre 1860 wurde eine Zahl von 160.000 verwilderten Pferden in den östlichen Küstenregionen gemeldet. Australien besitzt heute die weltweit größte Population an verwilderten Pferden (Dobbie et al.1993), die zudem in einer großen Vielzahl unterschiedlicher Lebensräume leben und sich dort vermehren (Berman 1991). Große Populationen von verwilderten Pferden leben seit mindestens 100 Jahre im Forschungsgebiet und wurden bereits in früheren Studien untersucht (Letts 1964, McKnight 1976, Berman 1991, Dobbie 1993, Bowen 1994). Das Ziel der vorliegenden Studie war die exakte Bestimmung der Morphologie und des Gesundheitsprofils von Wildpferdehufen in unterschiedlichen Regionen Australiens und Neuseelands.

Das “Mustang”huf-Modell, das in der Literatur angepriesen wurde (Jackson 1997, Ovniceck 2004), war offensichtlich von Beobachtungen von verwilderten Pferden in einander ähnlichen Lebensumfeldern abgeleitet worden und ist daher begrenzt auf die Auswirkungen eines einzigen Lebensraumes auf Pferdehufe. Für die aktuelle Studie wurde angenommen, dass Pferdehufe durch unterschiedliche Umweltbedingungen unterschiedlich beeinflusst werden und zwar durch Variationen in der Qualität der Bodenbeschaffenheit und der Laufintensität, die im jeweiligen Lebensraum benötigt werden, um dort zu überleben. Deshalb wurde die Hypothese aufgestellt, dass es mehrere “natürliche” Huf-Modelle gibt, je nach Einfluss des Lebensraumes auf den Pferdehuf.

Um die umfeldbedingten Effekte auf den Pferdehuf zu untersuchen, war es notwendig, auch andere mögliche Variablen, die einen Einfluss auf die Hufe haben könnten, zu berücksichtigen. Dies waren insbesondere die Ernährung, die Rasse sowie Feuchtigkeitsgehalt des Lebensraumes. Das Hauptvorhaben, nämlich die Identifizierung der Hufmorphologie und der Hufgesundheit der verwilderten Pferde, wurde durch diese zusätzlichen Anforderungen erweitert. Die aus dieser Studie gewonnenen Erkenntnisse sollten schlussendlich dazu dienen, Erkenntnisse für die Verbesserung der Hufgesundheit domestizierter Pferde zu erlangen.

Eine Einschränkung der aktuellen Studie war, dass nicht alle Variablen unabhängig vom Lebensraum kontrolliert werden konnten, was wiederum die Morphologie und Hufgesundheit in der Untersuchungsgruppe beeinflusst haben könnte. Wir haben versucht diese Variablen in unseren Untersuchungen zu berücksichtigen, was schwierig ist in einer Studie, die sich über sechs verschiedene Wildnisgebiete hinzieht.

Genetische Analysen der verwilderten Pferde Australiens bestätigen eine Übereinstimmung im Pferdegenotyp (Erbbild) und die Beobachtungen des Forschungsteams ergaben den Schluss, dass der Pferdephänotyp (Erscheinungsbild) in den verschiedenen Populationen ebenfalls sehr ähnlich war. Dies wurde bereits in früheren Berichten beschrieben (Berman 1991, Dobbie 1993). Die vorliegende Studie bestätigt, dass das Australische “Wildpferd” höchstwahrscheinlich vom australischen Vollblut und dem Araber abstammt, was bereits in historischen Aufzeichnungen  von Phänotypmerkmalen beschrieben wurde (Berman 1991, Dobbie 1993). Eine frühere Studie der Kamanawa Pferde in Neuseeland bestätigt ebenfalls ähnliche Rasseneinflüsse wie bei den australischen verwilderten Pferden (Halkett 1996). Die heutigen australischen “Wildpferde” sind am engsten verwandt mit dem Australischen Stockhorse, einer Arbeitspferderasse, die von australischen Pferdezüchtern über das letzte Jahrhundert als Pferd für die harte Arbeit gezüchtet wurde. Es ist interessant, dass die Natur anscheinend nach denselben Kriterien selektiert hat, die auch der Mensch gewählt hat, um eine Rasse zu züchten, die den harten Bedingungen des australischen Kontinents am besten gewachsen ist.

Es scheint allerdings so, dass es möglicherweise doch einige Unterschiede in der Anpassung der unterschiedlichen Populationen von verwilderten Pferden an die jeweilige Strenge des konkreten Umfeldes gibt: Bei den Pferden, die in heißen, fast ausgetrockneten Gebieten in Zentralaustralien und im Landesinneren von Queensland leben, haben sich Wasserhaushalt und ihre Thermoregulation möglicherweise angepasst, um lange Wanderungen von den Wasserlöchern zu den weit entfernten Futterstellen zu ermöglichen. Die Hufe neugeborener Fohlen scheinen eine einzigartige Variation in der Architektur ihrer Blättchenschicht zu haben, die ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach einen Vorteil während der langen Wanderungen in den ersten Lebenswochen bietet. Es wurde weiterhin beobachtet, dass dieser Unterschied in der Blättchenschicht-Architektur bei adulten domestizierten und verwilderten Pferden nicht mehr festzustellen ist. Demzufolge ist es unwahrscheinlich, dass dieser bei Neugeborenen festgestellte Unterschied einen Einfluss auf die morphologischen Varianten hat, die bei der Begutachtung der adulten Populationen in der vorliegenden Studie festgestellt wurden.

Weiterhin kam eine Ernährungsstudie zu dem Ergebnis, dass es keine offensichtlichen Faktoren aus der Ernährung gibt, die sich nachteilig auf Hufmorphologie oder die Hufgesundheit der getesteten Populationen auswirken. Allerdings handelt es sich bei dieser Studie um eine Stichprobe zu einem einzigen Zeitpunkt, so dass sie nicht unbedingt einen Langzeiteffekt der Ernährung auf die Tiere repräsentiert.

Bei Messungen des Feuchtigkeitsgehalts der “Wildpferdehufe” aus drei stark voneinander abweichenden Lebensräumen haben wir festgestellt, dass der Feuchtigkeitsgehalt der Hufe gleich war, unabhängig von der Umgebungsfeuchtigkeit. Wir zogen daraus den Schluss, dass die Umgebungsfeuchtigkeit allenfalls einen indirekten Einfluss auf die Morphologie der Hufe hat, z.B. durch reduzierten Abrieb, und keinen direkten Einfluss auf die Feuchtigkeit in den Hufwänden.

Wir sind sicher, dass keine der untersuchten Populationen der verwilderten Pferde in den letzten 50 Jahren durch menschliche Eingriffe beeinflusst wurde, außer durch sporadische, nicht selektive Reduktionsabschüsse in manchen Gegenden. Obwohl die oben genannten externen Variablen in Betracht gezogen wurden, konnten sie nicht komplett kontrolliert werden. Daher weisen wir darauf hin, dass eine gewisse Vorsicht angebracht ist, wenn die Umwelteinflüsse auf unkontrollierte Pferdepopulationen verglichen werden.

Die Schlüsselfaktoren der Lebensumgebung, die mit einem direkten Einfluss auf die Hufe der Pferde in Verbindung gebracht werden konnten, waren der Untergrund, auf dem die Pferde laufen und ihre Laufleistung. Es wurde bereits festgestellt, dass die Härte des Untergrundes die Abriebrate der Hufkapsel bestimmt (Boyd et al. 1988). In dieser Studie verursachte ein harter, abriebintensiver Untergrund eine höhere Abriebrate, als ein weicher, weniger abrasiver Untergrund.

In den Gegenden mit harten Untergründen, die in der aktuellen Studie erfasst wurden, schien es eine Balance zwischen Wachstum und Abrieb der Hornkapsel zu geben, so dass bei den meisten Hufen ein Gleichgewichtszustand bestand. Allerdings war der Abrieb bei manchen Hufen deutlich massiver. In manchen dieser Fälle schienen die Pferde nach Futter oder Wasser gegraben zu haben. Andere waren junge erwachsene Hengste, die sehr weite Strecken zurücklegten, um den Harem anderer Hengste zu übernehmen. In Gegenden mit weicherem Untergrund, war das Wachstum größer als der Abrieb und die Hufwände wurden dadurch lang und verbogen. Je nach Eigenschaft des Untergrundes werden unterschiedlich starke Erschütterungen hervorgerufen. Diese scheinen ebenfalls die Hufgesundheit zu beeinflussen; hierzu wurden bei Pferden, die in Gegenden mit harten Böden leben, passende pathologische Anzeichen gefunden.

Die Laufleistung der Pferde ist bedingt durch die Distanz zwischen der Wasserstelle und dem Futterangebot (Berman 1991, Hampson et al., C, 2010). Wenn Futter in der Nähe zum Wasser vorhanden war, liefen die verwilderten Pferde moderate Strecken. Wenn das Futter in der Nähe des Wassers dadegen spärlich war, waren sie gezwungen, größere Strecken zurückzulegen, um zu überleben (Berman 1991, Hampson et al., C, 2010).

Die Laufleistung hatte offensichtlich einen Einfluss auf die Hufmorphologie und die Hufgesundheit. Hufe von Populationen mit moderaten Laufleistungen auf weichem Untergrund hatten eine signifikant andere Hufmorphologie als Populationen, die auf weichem Untergrund eine hohe Laufleistung haben. Gleiches wurde beobachtet bei Populationen, die auf harten Untergründen leben. In Gegenden mit harten Böden gab es einen Zusammenhang zwischen hoher Laufleistung und übermäßiger Abnutzung der Hufwände einerseits sowie traumatisch bedingter Rehe und lateraler Hufknorpelverknöcherung andererseits.

Das wissenschaftliche Hauptziel der aktuellen Studie war die Identifizierung der Hufmorphologie verwilderter Pferde. Die Untersuchung der Sohlendicke war der einzige Teil der Studie, in dem Hufe adulter, domestizierter Pferde direkt mit denen von verwilderten Pferden verglichen wurden. Hier haben wir die genaue Morphologie der dermalen und epidermalen Sohle von domestizierten Vollblütern und zwei verwilderten Populationen untersucht. Es wurde ein signifikanter Unterschied in der Sohlendicke zwischen den drei Pferdegruppen festgestellt, die auf unterschiedlichen Böden leben: Verwilderte Pferde auf hartem Boden hatten im Durchschnitt eine dickere Sohle als verwilderte Pferde auf weichem Boden. Darüber hinaus hatten beide verwilderten Pferdepopulationen im Durchschnitt dickere Sohlen als die domestizierten Vollblüter. Die Sohlendicke war in den peripheren Bereichen, d.h. am Sohlenrand, dicker als in der Hufmitte.

Diese Verteilung passt zu den Ergebnissen der Untersuchung der lasttragenden Strukturen des Hufs: Hier wurde herausgefunden, dass die dicksten Sohlenbereiche mit den Bereichen korrelierten, die am stärksten mit Gewicht belastet werden und demzufolge auch den höchsten Abrieb erfahren. Diese Daten legen nahe, dass quer über die Sohlenfläche betrachtet, möglicherweise unterschiedlich starke Wachstumsraten bestehen, die durch biomechanische Resonanz gesteuert werden.

Wir haben die Hufmorphologie von sechs geographisch abgegrenzten Populationen verwilderter Pferde beschrieben. Alle sechs Populationen haben signifikant unterschiedliche Hufformen, die durch den Einfluss des Lebensraumes erklärt werden konnten. Die Hufgesundheit dieser Populationen war ebenfalls abhängig von denselben Umweltbedingungen. Jede der sechs Populationen repräsentiert Pferde, die unter “natürlichen” Bedingungen leben, mit freiem Zugang zu unterschiedlichen Nahrungsquellen und uneingeschränkter Bewegungsfreiheit. Wir waren in der Lage, Huftypen zu identifizieren, die entsprechend der Gegebenheiten ihres Umfeldes klassifiziert werden konnten. Zum Beispiel konnten wir feststellen, dass alle Hufe von harten Böden mit hoher Laufleistung deutliche Formcharakteristiken hatten, die sie von Huftypen anderer Böden und Laufumgebungen unterscheiden. Wir waren dadurch in der Lage, die einzelnen Hufe als “Typ harter Boden, hohe Laufleistung” oder “Typ weicher Boden, moderate Laufleistung” etc. zu identifizieren. Nach unserer Studie gibt es nicht den einzigen “natürlichen” Huftyp: Wir haben durch die Untersuchung der sechs geographisch abgegrenzten Gruppen auch sechs unterschiedliche “natürliche” Huftypen identifiziert.

Die Hufe der Pferde mit moderater bzw. hoher Laufleistung auf hartem Untergrund sind dem populären Modell des “Naturhufs” von Jackson und Ovnicek (Jackson 1997; Ovnicek 2004; Ovnicek 1995) äußerlich am ähnlichsten. Diese Huftypen sehen von außen betrachtet sehr ähnlich aus, unterscheiden sich aber erheblich in ihrer inneren Morphologie sowie in ihren Pathologien - offensichtlich in Abhängigkeit von der Laufleistung über steinigen Untergrund mit entsprechenden Erschütterungen der Hufe. Obwohl diese Huftypen am gefälligsten wirken, verweisen die inneren Pathologien darauf, dass sie wahrscheinlich kein gutes Vorbild für den idealen Huf darstellen. Die Hufe der Pferde aus weichen Gebieten waren äußerlich weniger gefällig, es wurden hier jedoch weniger pathologische Veränderungen festgestellt. Die Frage “Welcher Huf ist der Idealhuf?” ist wahrscheinlich überflüssig, da der beste Huf für das betroffene Pferd davon abhängt, in welcher Umgebung er funktionieren soll und wieviel Leistung er erbringen muss.

Befürworter des “Naturhufmodells” (NHC) bewerben diesen Huf als Musterbeispiel für alle Pferde unabhängig von der Umgebung und den Leistungsanforderungen. Diese Sichtweise basiert auf der Annahme, dass der nordamerikanische Mustang das typische Wildpferd ist und den richtigen Huftyp für alle Pferde besitzt. Die Form des Mustanghufs bzw. des Pferdes aus einer Population, die auf hartem Untergrund lebt, mag einen Kompromiss darstellen, um eine schmerzfreie Fortbewegung in harter Umgebung zu ermöglichen. Allerdings wäre für ein Pferd in weicher Umgebung eine solche exzessive Sohlen- und Wandhorndicke eine unnötige Gewichtsbelastung. Die “Austausch-Fallstudie” (Anm: gemeint ist eine Teilstudie innerhalb der Studie) zeigte, dass sich ein bestimmter Huftyp durch die Umgebung, in die er versetzt wurde änderte. Das bedeutet nicht, dass der Huf eine “schlaue” Struktur ist, die in der Lage ist sich anzupassen, vielmehr dass er sich in der Folge von Umgebungsbedingungen verändern wird.

So geben z.B. lange, verbogene Wände der “Weichboden-Huftypen” dem Pferd keinen Vorteil in seiner Umgebung. Stattdessen ist der Mangel an Abrieb, bedingt durch den weichen Boden und eine Laufleistung, nicht in der Lage, mit der  Wachstumsrate der Hufwand Schritt zu halten. Das Resultat ist, dass die Wand länger wird und aufgrund der Hebel auf die verbogene Wand ausbricht. Bei den Kaimanawa Pferden in Neuseeland, die auf weichem, nicht abrasivem Boden leben und die aufgrund des ausreichend vorhandenen Futterangebots in der Nähe des Wassers nur geringe Distanzen laufen müssen, wurden die Hufe sehr lang und brachen in großen Stücken aus. Manchmal wurde hierdurch sogar die Blättchenschicht oder auch das Hufbein freigelegt. Dieser natürliche “Trim” - auch wenn er nötig ist, um die Wandlänge zu begrenzen - kann nicht gerade als ideale Korrekturmaßnahme für das Pferd beschrieben werden. Wenn die Pferde auf abrasiverem Untergrund leben würden oder größere Distanzen zurücklegen würden, würde der natürliche “Trim” gleichmäßig Schritt für Schritt stattfinden, statt in einem einzigen potentiell schädlichen Moment.

Ein anderes Beispiel dieser eher als Konsequenz, denn als “adaptiv” auftretenden Prozesse wurde bei den Hufen der Pferde aus harter Umgebung mit hoher Laufleistung beobachtet. Diese besitzen typischerweise “eng anliegende” gerade Wände und einen abgerundeten Tragrand. Diese Abrundung, gewöhnlich als “mustang roll” bezeichnet, wird als vorteilhafte Form betrachtet, die einen frühen Abrollpunkt ermöglicht und Ausbrüche des Tragrandes verhindern soll. Weil berichtet wurde, dass dieses Merkmal bei manchen in der Wildnis lebenden Pferden auftritt, wird diese Abrundung von vielen Barhufbearbeitern mit der Raspel künstlich angebracht. Allerdings hat die vorliegende Studie festgestellt, dass diese Abrundung nur bei Pferden aus harten Gegenden auftrat, besonders bei Pferden die sich in rauem, unebenem und bergigem Gelände bewegen. Wir interpretierten das Vorhandensein der Abrundung als Folge des ständigen Ausbrechens und des Abriebs im Kontakt mit den Steinen während der Bewegung in diesem Gelände. Wir gehen davon aus, dass bei Ausbrüchen aufgrund des Kontakts mit einem Stein, Energie abgeleitet wird, statt sie an die Skelettstrukturen weiterzugeben. Dies mag eine gewisse Schutzfunktion für den Huf darstellen. Allerdings hat die Abrundung an sich keine biomechanische Funktion oder auch Schutzfunktion, sondern sie ergibt sich rein als Folge aus den Umständen, in denen diese Pferde leben. Das künstliche Anbringen einer „mustang roll“ mit der Raspel ist daher eher nicht als vorteilhaft für das Pferd anzusehen. Im Gegenteil ist das Entfernen der äußeren Röhrchen der Hornwand, die wichtige lasttragende und kraftverteilende Aufgaben übernehmen müssen, potentiell schädlich für den Huf (Hopegood 2002, Hinterhofer et a.l 1998, Kasapi and Goslin 1999). Die Anbringung der „mustang roll“ an Hufen domestizierter Pferde, die in künstlichen Ausläufen leben, sollte daher kritisch hinterfragt und ihre Auswirkungen genauer untersucht werden.

Das Hautauswahlkriterium für “den Naturhuf” scheint rein ästhetisch begründet zu sein und besitzt keine solide wissenschaftliche Basis. Die vorliegende Studie identifizierte diesen Huftyp bei Pferden mit extremem Aktivitätslevel in rauem Gelände. Die Pferde sind aufgrund ihrer robusten Hufstruktur, die sich von Geburt an entwickelt hat, in der Lage, diese Leistungen zu erbringen. Allerdings hat eben diese robuste Struktur während dieses Prozesses ganz offensichtlich häufig Verletzungen und Erkrankungen erlitten. Das Gros der Hufformen reflektiert die Folgen aus der gesamten biomechanischen Geschichte des Hufes und ist nicht zwangsläufig ein Modell für das Hauspferd, das mit weniger extremen Anforderungen konfrontiert wird. Es wurden erhebliche signifikante Pathologien bei diesem, dem populären “Mustanghuf” ähnelnden Huf gefunden: Nur bei 3 von 100 linken Vorderhufen wurden keinerlei Anomalien gefunden. Die überraschendste Erkenntnis aus der Population mit der hohen Laufleistung auf hartem Boden war, dass bei 67% der Pferde Anzeichen einer chronischen Rehe gefunden wurden, was wir auf traumatische Ätiologie zurückführen. 70% der Pferde mit moderater Laufleistung auf hartem Boden hatten lateral verknöcherte Hufknorpel. Vererbung als prädisponierender Faktor hierfür wurde ausgeschlossen und bei den Pferden aus weichen Gebieten weniger als 500 km entfernt wurde dies ebenfalls nicht beobachtet. Diese Beobachtungen bedeuten möglicherweise, dass der Aufprall des Hufes auf harten Böden bei übermäßiger Laufleistung erschütterungsbedingte Veränderungen im Huf erzeugt. Manche Charakteristiken des populären Naturhufs wurden als vorteilhaft dargestellt, z.B. die dicke Hufwand und die dicke Hufsohle sowie die stark abgeriebene distale Hufwand, was auch nahelege, dass die Sohle  als lasttragende Struktur geeignet sei. Diese Charakteristiken sind allerdings  eher Anzeichen von pathologischen Veränderungen durch das extrem harte Leben, welches die Pferde erdulden müssen. Die Interpretation dieser Charakteristiken als pathologische Folgen stellt dieses Hufmodell intuitiv als ungeeignet dar.

Die Resultate der vorliegenden Studie sind sowohl für den traditionellen Hufbeschlag als auch für die Barhufpflege relevant. Das traditionelle Modell hat wesentliche Erkenntnisse der Befürworter des Natur-/Barhufmodells ignoriert. Der Fokus dieses Modells liegt sowohl auf der Hufform als auch auf der Umgebung, in der das Pferd gehalten wird. Es räumt dem Huf die Möglichkeit ein, sich je nach Stimulation durch Umgebungsbedingungen und Laufleistung zu verändern. Es berücksichtigt die negativen Auswirkungen des Eingesperrtseins, des Mangels an Stimulation und Bewegung. Es berücksichtigt ebenfalls, dass der Abrieb (“Trim”) durch tägliche Bewegung durch einen Beschlag unterbleibt und dass der Fokus des Beschlagsschmiedes manchmal mehr auf der Anwendung und Anbringung des Beschlags liegt, als auf der Bedeutung biomechanischer Aspekte der Hufzubereitung. Allerdings ignorieren die Barhufbefürworter die Jahrhunderte an Erfahrung, Wissen und Fertigkeiten, die von der Veterinärmedizin und dem Hufbeschlagsberufsstand entwickelt wurden und viele schätzen die Notwendigkeit der Anwendung von Korrekturbeschlägen und orthopädischen Hilfsmitteln in manchen Situationen falsch ein.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass das traditionelle Modell der Hufmorphologie, das in Veterinärmedizin und Hufbeschlagswesen üblich ist, im Grundsatz mit dem Hufmodell der verwilderten Pferde übereinstimmt. Ein aktueller Überblick über die röntgenologische Begutachtung des equinen Hufs (Mansmann 2008) zeigt, dass der normale palmare Winkel des Vorderhufs 5°-10° beträgt und dass das Hufbein dabei in einem positiven Winkel in Richtung Zehenspitze abfällt. Die verwilderten Pferde aus unserer Studie (n=100) passten in den unteren Bereich dieser Dimensionen (5.7 ± 0.4°). Strasser (2004), eine Befürworterin des Naturhufmodells, gab dagegen vor, dass die natürliche Orientierung des Sohlenrandes des Hufbeins bodenparallel sein sollte. Ein bodenparalleles oder sogar negativ gewinkeltes Hufbein war bei den Kaimanawa Wildpferden dagegen mit Pathologien assoziiert (Hampson 2010). Der Winkel der dorsalen Hufwand der australischen Wildpferde hatte ebenfalls sehr schmale Variationsbreiten (53.3 ± 0.5° bis 56.8 ± 1.0°). Die geringe Abweichung bei den Hufen der Pferde aus einer jeweiligen Umgebung impliziert, dass diese Parameter wichtig für die funktionelle Hufform sein könnten. Beides stimmt mit der Hufform überein, die in aktuellen veterinärmedizinischen Schriften oder Hufbeschlagslehrbüchern beschrieben werden (Stashak et al. 2002, O’Grady and Poupard 2003).

Manche Freizeitnutzungen haben es erforderlich gemacht, dass die Hufformen von den als optimal akzeptierten Formen abweichen, um damit bestimmte Ergebnisse zu erzielen. Die Hufform, die typischerweise bei einem Rennpferd beobachtet werden kann, ist ein gutes Beispiel: Eine lange Zehe mit niedriger Trachte wurde hier absichtlich erzeugt, um die Renngeschwindigkeit zu steigern und es gibt Anhaltspunkte dafür, das dies tatsächlich der Fall ist (Cust et al. 2008; Wilson et al. 2003). Allerdings ist auch klar, dass diese selektive Hufform auch nicht ohne Konsequenzen ist und mehrere Studien haben diese Art der Hufform mit Verletzungen  (Ducro et al. 2009, Dabareiner and Carter 2003, Hinterhofer et al. 2000), unter anderem auch mit katastrophalen muskuloskeletalen Verletzungen (Kane et al 1998), in Verbindung gebracht. Während Tierarzt und Hufschmied oft für den Schaden am Pferd verantwortlich gemacht werden (Floyd 2007), sind wohl die industrielle Revolution und die Veränderung der Rolle des Pferdes vom Arbeitstier zum Freizeit- und Gesellschaftstier, zusammen mit der Verknappung des Landangebots für die Pferdehaltung, die bedeutendsten Faktoren für die erkennbaren Probleme der modernen Pferde.

Ab dem Tag des Beschlages mit einem Hufeisen wächst der Huf kontinuierlich, die Hufmorphologie ändert sich schleichend und damit auch die biomechanische Interaktion des Hufs mit dem Untergrund. Der Huf mag am Beschlagstag ideal bearbeitet werden, aber vier Wochen nach dem Beschlag kann die Situation erheblich verändert sein. Im Naturhufmodell hat der Barhuf die Möglichkeit mit der Umgebung zu interagieren, d.h. mit jedem Schritt Abrieb (“Trim”) zu erfahren und eine konstante Hufform als biomechanisches Modell beizubehalten. Diese Studie hat Beweise zusammengetragen, dass wild lebende Pferde, die moderate Distanzen über harten Boden zurücklegen, in der Lage sind, Hufwachstum und Abrieb in Balance zu halten. Das Bestehen der Mehrheit der Barhufbearbeiter auf der Bedeutung der Bewegung und der Umgebung, in der ein Pferd gehalten wird, kann eine wichtige Strategie sein, um gesunde Haltungsbedingungen für Pferde voranzutreiben.

Es ist eine Herausforderung für die heutigen Pferdebesitzer, eine Umgebung zu schaffen, die für das Hauspferd am besten geeignet ist. Dies beinhaltet auch, einen Boden anzubieten, der sowohl dazu beiträgt Hufwachstum und Abrieb auszubalancieren, als auch das muskoloskeletale System für die Umgebung, in der das Pferd genutzt wird, vorzubereiten (zu trainieren) - sei es zu Freizeit- oder zu professionellen Zwecken. Heute haben Pferdebesitzer die Möglichkeit, verschiedene Bodenbeläge für Haltungs- und Nutzungsumgebungen einzusetzen und es gibt aktive Fütterungstechniksysteme und verschiedene Möglichkeiten, um den Bewegungsumfang der Pferde nach Menge und Art zu bestimmen. Die aktuelle Studie soll dabei helfen, die Langzeitimplikationen bestimmter Untergründe und Bewegungsqualitäten zu bewerten und ein Bewusstsein herzustellen, dass die Wahl des einen oder des anderen Materials mit Konsequenzen für den Huf verbunden ist.

Auch wenn Pferde, die wild auf hartem Boden leben und laufen, augenscheinlich Hufe haben, die die Belastung auf diesem harten Boden aushalten, hat unsere Studie aufgezeigt, dass mit diesem Leben auf dem harten Boden durchaus negative Folgen für die Hufgesundheit verbunden sind. Angesichts dieser Beobachtungen sind weitere Studien erforderlich um den Einfluss der Tretbeläge auf die Hufgesundheit und das Wohlbefinden der domestizierten Hauspferde zu untersuchen.

Weiterführende Untersuchungen sind nötig, um die Folgen aus den Umgebungen in denen Pferde leben und arbeiten, belegen zu können. Gegenwärtig gibt es keinen klaren Hinweis, dass der Wildpferdehuf dem üblicherweise praktizierten Hufpflegemodell des Tierarztes oder Hufschmieds vorzuziehen ist. Das moderne Pferd mag physisch und strukturell für höhere Geschwindigkeit und Beweglichkeit angepasst sein. Menschliche Einflussnahme durch Zuchtprogramme, um speziellen Anforderungen im Sport und Leistungszielen näher zu kommen, hat möglicherweise die Spezies in der Entwicklung weitergebracht – dies häufig auf Kosten der Verletzlichkeit einiger Gewebe, bspw. des Hufbeinträgers. Es war für uns interessant zu beobachten, dass die wild lebenden Verwandten unserer modernen Hauspferde hinsichtlich möglicher Verletzungen gleichermaßen gefährdet sind, obwohl sie nicht in Gefangenschaft leben und keiner menschlichen Beeinflussung unterliegen.

Literatur beim Verfasser

Auch wenn der Huf des Hartbodentyps in seiner äußeren Gestalt gefälliger wirkt und der Huf des Weichbodentyps dem Auge unangenehm erscheint, so finden sich in letzterem weit seltener pathologische Veränderungen als in ersterem.